Neulich hatte ich ein sproedes Gespraech ueber Sinn und Unsinn vom Reisen und dem darueber berichten. Schliesslich ging es um Bilder und wie diese rueberzubringen seien. Lebendige Bilder selbstverstaendlich, von Orten, Menschen, Begebenheiten. Auf dieser Reise, hier, in Lateinamerika. Im Kopf wird die Unordnung zum Normalzustand, zu einem sehr lehrreichen und spannenden, wundervollen und schmerzenden.
Reisen im Kopf
Reisen kreiert unglaublich viele Bilder, Reisen bildet. Mit den arg beschraenkten Moeglichkeiten von Sprache, meiner Sprache, versuch ich sie hier erstens fuer mich, zweitens fuer euch niederzuschreiben. Dieser Kontinent macht es nicht leicht. Zumal mit zunehmender Dauer der Reise und mit ebenfalls zunehmender Anzahl gesehener Laender und Orte die Sensibilisierung fuer den Unterschied, die Ballung von Eindruecken also, ein ungeahntes Ausmass erreicht. Doch dem Versuch steht meines Erachtens nichts, aber auch gar nichts im Wege, sofern er nicht allein stehen bleibt, sofern er nur als solcher wahrgenommen wird.
Musik im Kopf
Südamerika im Kopf
Die Improvisation als Dauerzustand. Die (diesen bedingende) Armut ebenso. Dies allein reichte aus, um ganze Galaxien mit Eindruecken zu fuellen. Von Strassenmaerkten, Musikkapellen, Getoese, belebten Plaetzen und einsamen alten Maennern in ihren besten Anzuegen beim Billardspielen. Von kleinen Maedchen beim Betteln und weinenden Grossmuetterchen. Vom allabendlichen Hupkonzert zur Rushhour und auch sonst, dem ewigen Laerm, ueberfuellten Bussen und finstren Gassen. Von Gespraechen hier und da und dem sichtbar riesigen Einfluss der Kirche. Vom Kinderreichtum und singenden Verrueckten. Staedte und ihre Eigenarten, die Hektik der wuselnden, gluecklichen und ungluecklichen Menschen. Die Gebaeude zwischen kolonialem Protz und Bretterbuden und Buerotuermen. Doerfer im Nirgendwo, manchmal nicht mehr als kleine Ansammlungen von Huetten mit einigen Parzellen Land und Kuehen und Schaffen und Schweinen.
Die Landschaften immer anders, oft beeindruckender und kraftvoller und gewaltiger als je von mir gesehen. Irre Schluchten, grossartige Bergformationen, endlose Kuestenstreifen. Schroff und sanft und was man von diesem widerspruechlichen Konglomerat einer unvorstellbaren Fuelle von Natur allein in Peru und Ecuador erleben kann, ist beeindruckend.
Gleichzeitig: Jene Schnittstelle zwischen Mensch und dieser Natur, sie ist sehr offensichtlich eine zu Ungunsten Letzterer. Abgeholzte Bergkuppen soweit das Auge reicht, viele Fluesse stinken vom Dreck. Entlang gut befahrener Strassen wird es nicht selten schwer, einen unvermuellten Flecken urspruenglicher Erde zu finden.
Weil ich den Sueden Ecuadors noch nicht kannte und es sich routenmaessig anbot, bin ich vom Norwesten Perus noch einmal nach Ecuador gefahren und von dort zurueck in den mittleren Norden Perus, mit dem mittelfristigen Ziel, mich spaetestens in ein paar Tagen im Amazonasgebiet des Landes wiederzufinden.
Von Chota nach Piura
Normalerweise macht es wenig Sinn, ueber Nachtbusfahrten zu schreiben. Es ist dunkel, man sieht folglich nicht viel und mit ein bisschen Glueck gibt’s ’nen selig unbequemen Schlaf. Doch diese war besonders, weil zum einen an den besagten Schlaf dank der Strassenbeschaffenheit kein Rankommen war und zum anderen die sternklare Vollmondnacht wundertolle, ja, sagenhafte Ausblicke auf Schluchten und Berge gewaehrte. Klasse Landschaft, selbst bei Nacht.
Piura
Diese Stadt einige Kilometer westlich der Kueste, dennoch nur 35m hoch gelegen, hat nichts besonderes. Wirklich gar nichts. Mir hat sie gefallen, vielleicht deshalb. Entspannte Atmosphaere, nette Menschen, viele Gruenanlagen.

Máncora
Das Surfermekka Perus. Eigentlich haette mich das abschrecken sollen. Anderereits: Schoene und saubere Straende, Waerme. Nach Tagen in den Bergen durchaus verlockende Argumente. Doch wenn man beim Aussteigen aus dem Bus, unmittelbar nach der Ankunft, so gleich von einer riesigen Meute sog. Hotelagenten und Taxifahrer umlagert wird und ihren nervigen „Angeboten“ ausgesetzt ist, kann man mit grosser Sicherheit davon ausgehen, dass der betreffende Ort kaum den Erwartungen an einen relaxten, naturbelassenen, unverfaelschten und billigen Aufenthalt gerecht werden wird.
Mancora war vor fuenf Jahren bestimmt supertoll und gediegen, wie mir so mancher zu berichten wusste. Heute aber ist es total ueberrannt von Surfer- und Moechtegernsurfervollpfosten und Crack schnueffelnden Peruanern. Es werden haessliche Hotelanlagen gebaut und das Schifferdorf in ein stark nach Palmas de Mallorca stinkendes Gewand gehuellt. Wenngleich die Anzahl nerviger Sinnlosdiscos noch ueberschaubar ist und die Straende wirklich schoen sind.

Von Máncora nach Tumbes (Peru) nach Cuenca (Ecuador)
Der Lonely Planet in seiner schoepferischen Weisheit laesst an dem Grenzuebergang 20km noerdlich von Tumbes keine gutes Haar. Da hat er sogar mal Recht, ausnahmsweise. Ich kann jedenfalls jedem raten, nur, also ausschliesslich, die offiziellen Kollektivos (Minibusse) mit der Aufschrift „Agua Verdes“ zu benutzen und den Fahrer zu bitten, an der – internationalen – Migration zu halten. Vor der man tunlichst und ergebenst den Lonely Planet Ratschlaegen folge und nicht zu Fuss, sondern per Mototaxi die 2km Niemandsland bis nach Agua Verdes und zur Grenzbruecke ueberquere. Recht stressig das Ganze. Zumal die ecuadorianische Migration wieder etwa drei Kilometer entfernt liegt.

Fuer mich war es jedenfalls eine wahre Wohltat, wieder in Ecuador zu sein. Mit einem Schlag werden die meisten Sachen billiger (vor allem die Busse) und die Menschen netter. Ecuador scheint, nein, ist im Vergleich zu Peru wesentlich besser organisiert. Gleichzeitig, vielleicht eben diesem Umstand geschuldet, auch relaxter, zumindest im Sueden. Die Landschaft macht fast zeitgleich zum Grenzuebrgang einen nicht unerheblichen Bruch, Gruen herrscht und Gruen soll herrschen. Nach drei Stunden Fahrt in Richtung Cuenca geht’s stetig bergauf, durch das wahnwitzig bezaubernde Hochland Parque de Cajas. Ich hatte das Vergnuegen, da zum Bilderbuch Sonnenuntergang durchzufahren (hach).

Cuenca
Diese Stadt die mit Abstand schoenste, wohltuendste, ja, beste dieser Reise. Was natuerlich ein wenig, aber nur ein wenig uebertrieben ist. Cuenca liegt mit ca. 500.000 Einwohnern auf Platz drei in Ecuador, ist also durchaus nicht klein. Und dafuer fuehlt man hier eine Ruhe, eine so absolut unglaubliche Gelassenheit, dass die Versuchung gross ist, sich diesen Ort fern unserer und vor allem jener suedamerikanischen Welt vorzustellen.
Sie ist natuerlich von dieser Welt, es gibt Autos und Supermaerkte. Aber alles scheint so harmonisch abzulaufen, so friedlich und unbekuemmert. Vielleicht ist es die Hoehenlage (2500m), vielleicht die schlichte Schoenheit der Gassen. Ich habe noch nie in Lateinamerika ein unvermuellteres Flussbett eines Stadtflusses erlebt, noch nie eine dermassen sanfte Atmosphaere gespuert, noch nie keine (0) Strassenkoeter gesehen. Umgeben ist Cuenca von grandiosen Waeldern und Bergen. Das faerbt ab, offensichtlich. Es gibt Kleinkunst, die diesen Namen auch verdient und herrliche Ausblicke allerorts. Klar, ein wenig spiessig ist das ganze schon, so sauber und reich und wohl geordnet die Stadt sich praesentiert. Wobei spiessig auf ecuadorianisch immer noch verdammt alternativ auf deutsch bedeuten muss.
Loja
Eine Stadt so unscheinbar wie nett. Ebenfalls entspannt, aber im Vergleich zu Cuenca irgendwie unbedeutend.
Vilcabamba
Zu diesem Nest ist so einiges zu sagen. Zunaechst mal hatte ich eine ausgesprochen gute Zeit da. Gracias a Estralita y Robert, die mich mit lecker Essen und einem Schlafplatz im Wohnzimmer beglueckten. Das kleine Dorf liegt wunderschoen inmitten von Bergen und Waeldern, ist also praechtig geschaffen zum Wandern und Rumstreunern. Die Kehrseite sind immer mehr sich dort niederlassende Gringos. Natuerlich soll jeder leben koennen wo wer will. Nur, hier findet Migration unter genau umgekehrten Voraussetzungen als im Rest der Welt statt und dies mit einer beinahe ignoranten Selbstverstaendlichkeit, die beangstigend ist. Verhaeltnismaessig reiche Weisse kaufen Land, treiben damit die Preise hoch und die Ecuadorianer wo anders hin. Die Haueser aus Naturstein werden zunehmend ersetzt durch „huebsche“ Villen mit Mauern und Pool. Viele der Neuen sprechen kaum oder wenig spanisch und bleiben unter sich. Kein geringer Teil von ihnen ist, wie selbst erlebt und von Robert eingehend geschildert, zudem recht wirr im Kopf. Verschwoerungstheoretiker, paranoide Althippies oder Kaempfer des Lichts… Dennoch: Der Ort hat nach wie vor Charme und es macht Spass, da ein paar Tage oder mehr zu bleiben.

Von Vilcabamba nach La Balsa (Ecuador) nach San Ignacio (Peru)
10 Stunden Fahrzeit in diversen Bussen, Kleinbussen und Lkw’s und ein Haufen Wartezeit dazwischen. Man passiert Nebelwaelder und kleine Dschungeldoerfer, die Besiedlung im Ganzen aber stetig spaerlicher werdend. Gibt viel Staub auf den Jeans und in der Nase, ein grosses Hurra auf den Kitsch, wunderschoen. Der Grenzuebergang in La Balsa entsprach genauso wie der von Agua Verdes bei Tumbes allen meinen Vorstellungen von Suedamerika und war doch dessen ganzes Gegenteil. Nicht laut, sondern leise. Ein internationale Bruecke ueber einen Bergfluss inmitten einsamster Huegelketten. Ein paar Haeuser zur Abrundung. Ich habe ganau zwei Staatsbeamte gesehen, naemlich den ecuadorianischen und den peruanischen Grenzer. Ein paar Polizisten (oder Soldaten, keine Ahnung) spielen Fussball in der Sonne und ich bin weit und breit der einzige Mensch, der die Grenze zum Vergnuegen oder aus anderen Gruenden ueberquert. What a picture!

Von San Ignacio nach Chachapoyas
Weiter ueber endlose Schotterpisten im engen Minibus durch wundervolle Landschaften. Kurz vor Bagua Grande aspahltierte Strassen, wow, wie wenig so ein Wohlstandsarsch aushaelt. Es kam schlicht einer Erloesung gleich. Nicht zuletzt, weils dann endlich wieder Busse gab. Natuerlich mit dem ueblichen Nebeneffekt eines ueberlauten Fernsehers.
Diesmal durchaus erheiternd: Latino&KaribikMixVol.II. Willkuerlich aneinandergereite Musikclips der schlechtesten Sorte. Vergleichbar mit dem Musikantenstadl. Nur weniger subtil. Mieser Latinopopschlagerirgendwas (wie ich ihn hasse, meine Guete, das hoert hier scheinbar jeder, das Publikum ist meistens jung!) und dazu gibts hampelnde Maennlein im Anzug und ihren Instrumenten, immer halbnackte Tanezerinen, halbnackte Saengerinnen und alles vor kitschigen Sonnenuntergangshintergruenden. Garniert mit Syntieziser-„E-Gitarren“-Soli (wenns mal bisserl peppig sein soll, ow ja) und ansonsten einem wahren Hoechstgrad an Vergewaltigung der Ohren. Und desVerstandes. Scheinbar genau drei Themenfelder werden abgegrast: Liebe, unglueckliche Liebe und Party. Huh… Sobald ich mal wieder schnelles Internet finde, gibt’s ’ne kleine Youtube-Kostprobe.
Davon abgesehen: Zwischen dem Tal von Belen und dem Hochgebirge um Chachapoyas liegen landschaftliche Welten, beide schoener als die jeweils andere.

Chachapoyas und Kuelap
Chachapoyas ist eine kleine Stadt in den Bergen. Was sie meines Erachtens nach besuchenswert macht: Um sie herum liegen Unmengen Ruinen, Ueberbleibsel der einzigen nennenswerten Gegenmacht der imperialistischen Incas, den Chachapoyas. Die riesige Anlage von Kuelap ein sehenswertes Beispiel dafuer. Die Ausmasse sollen mit denen von Machu Picho mithalten koennen. Auf 3000m Hoehe gebaut das Ganze, mit imensen Mauern und schoenen Ausblicken nach ueberall.

Ausgezeichneter Reisebericht!
Und zum thema Reisebericht überhaupt:
Gut, dass Reiseberichte so schön sein können.